„Guten Morgen, mein Name ist Müller-Meier, ich bin hier neu und arbeite im Sekretariat“ , so sprudelt Julia Raab in die Klasse der BCK.24-B. 24 Chemikanten des 1. Lehrjahres haben ihre Blicke auf sie gerichtet. Die Schauspielerin hat einen Koffer dabei, der angeblich im Schulhaus gefunden wurde. Er gehört keinem. Plötzlich spricht er auch noch: eine Verordnung vom 5.September 1939. Es ist die „Verordnung gegen Volksschädlinge“, die die NS-Justiz erlassen hat, um Menschen auszugrenzen und zu töten. Es sind eine ganze Reihe von Utensilien im Koffer, z.B. die Brille. Immer wenn Julia Raab diese aufsetzt, wird sie zum Justizbeamten und Ankläger. Die Schicksale von drei Frauen werden erzählt: Johanna Lehmann, Hildegard Nagel und Krystina Wituska. Julia Raab leiht ihnen ihre Stimme und spricht für sie. Die drei Frauen wurden 1943/44 im Gefängnis „Roter Ochse“ in Halle hingerichtet wegen Bagatellen. Als „Volksschädlinge“ bezeichnet wurden sie aufgrund der damaligen „Verordnung gegen Volksschädlinge“ zum Tode verurteilt. Julia Raab schlüpft durch die Verwendung von kleinen Details in die Rollen verschiedener Personen; verwendet ein Portrait, eine Maske und ein blaues Kleid zur Darstellung. Sie spricht die Abschiedsbriefe an Eltern und Freunde. Warum sich keiner für die Frauen einsetzte? Keiner sich auflehnt gegen die Willkür und Todesstrafe? Im zweiten Teil des Klassenzimmertheaters sensibilisieren Dramaturgin Sandra Bringer und Julia Raab für die Mechanismen, die dahinterstecken. Wie einfach Ausgrenzung ist. Auch die Sprache sorgt für Trennung. Bringer spricht von „Volkskörper“, zu dem man dazugehören wollte. Wer nicht für das NS-System war, wurde als Volksschädling bezeichnet. Die Entmenschlichung wurde über Sprache transportiert. Beide – auch ausgebildete Theaterpädagoginnen – sitzen im Stuhlkreis gemeinsam mit den Schülern. Es werden Plätze getauscht, Blicke gewechselt. Wie ist es eigentlich, alleine in der Mitte zu stehen?
„Im Frühling hat man keine Lust zu sterben“ – ist ein Stück, das von beiden entwickelt wurde und auf realen Quellen und Recherchen basiert.
Herzlichen Dank an Julia Raab und Sandra Bringer für wunderbare 90 Minuten. Danke an Ronja Hohbach, die als Respekt Coach die Aufführung über das „Respekt Coaches Programm“, das über den Jugendmigrationsdienst Bitterfeld-Wolfen angeboten wird, förderte und finanzierte.
Danke an die Schulleitung, die Raum für solche Möglichkeiten gibt.
L.Dietsch